Dieser Artikel ist erschienen in Mamma Mia! Das Brustkrebsmagazin, Ausgabe 03/2020. Mehr Informationen unter www.mammamia-online.de

Brustkrebs kann erblich bedingt sein. Veränderungen in den BRCA-Genen sind spätestens seit dem offenen Umgang Angelina Jolies mit ihrer Mutation bekannt. Es gibt aber noch eine Reihe anderer Genmutationen, die eine Krebsentstehung begünstigen können. Beim Li-Fraumeni-Syndrom beispielsweise handelt es sich um eine vererbbare Erkrankung, die auch Brustkrebs auslösen kann. Mamma Mia! sprach mit Professor Sarah Schott von der Universitätsklinik Heidelberg über diese seltene Genmutation.

Mamma Mia!: Frau Prof. Schott, können Sie uns kurz erklären, was das Li-Fraumeni-Syndrom ist? Wie wird es diagnostiziert?

Prof. Dr. Sarah Schott: Menschen mit Li-Fraumeni-Syndrom (LFS) haben ein massiv erhöhtes Krebsrisiko. Das LFS zählt daher zu den sogenannten Krebsprädispositionssyndromen (KPS). Es wird durch erbliche Veränderungen im TP53 Gen verursacht, das im Körper normalerweise dafür sorgt, dass die Zelle auf krebserregende Stoffe reagieren kann. Dieser natürliche Schutz vor Krebs ist bei Menschen mit LFS gestört. Das erklärt das hohe Krebsrisiko. Eine derartige Genveränderung wird autosomal dominant vererbt, das heißt ein Elternteil gibt es mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent an die Kinder weiter. Eine solche Veränderung kann aber auch bei einem Nachkommen neu entstehen.

Folgende Zahlen verdeutlichen das Ausmaß des Krebsrisikos, das für Träger mit dieser pathogenen, also Krankheiten verursachenden, Keimbahnveränderung bekannt ist:

Vier Prozent erkranken innerhalb des ersten Lebensjahrs, 22 Prozent entwickeln bis zum fünften Lebensjahr eine Krebserkrankung und 41 Prozent der Betroffenen entwickeln bis zum 18. Lebensjahr eine Krebserkrankung. Spätestens im Erwachsenenalter erkranken nahezu alle Betroffenen an Krebs, teils mehrfach. Zu den typischen Krebserkrankungen des Syndroms zählen Knochen- und Weichteiltumore, verschiedenen Hirntumore, Nebennierenrindentumore und Blutkrebs. Auch der prämenopausale Brustkrebs kann durch das Li-Fraumeni-Syndrom bedingt sein.

Oftmals wird ein LFS über eine familiäre Häufung typischer Krebserkrankungen vermutet. Bestätigt wird die Diagnose nach einer genetischen Beratung über eine Blutentnahme und einen Gentest. Da eine derartige Keimbahnveränderung bei jungen Frauen mit Brustkrebs auch ohne die typischen Tumoren eines LFS in der Familie auftreten kann, ist die Untersuchung auf eine TP53-Keimbahnvariante Teil des Genpanels, das bei Frauen mit familiärem Brust- und Eierstockkrebs im Rahmen des Konsortiums für familiären Brust- und Eierstockkrebs etabliert wurde.

Mamma Mia!: Gibt es Informationen darüber, wie häufig Brustkrebspatientinnen aufgrund dieser Mutation erkranken?

Prof. Dr. Sarah Schott: Betrachtet man alle Brustkrebspatientinnen, so ist eine pathogene TP53-Keimbahnvariante bei weniger als einem Prozent dieser Frauen nachweisbar. Bei Frauen mit einer Brustkrebserkrankung vor dem 30. Lebensjahr kann sie bei fünf bis acht Prozent der Betroffenen unabhängig von der Familienanamnese festgestellt werden. Frauen mit einer solchen Keimbahnvariante haben ein in der Literatur beschriebenes Brustkrebs-Lebenszeitrisiko von fast 80 Prozent und häufig sind junge Frauen betroffen.

Mamma Mia!: Gibt es besondere Behandlungsstrategien für Brustkrebspatientinnen mit einer solchen Mutation?

Prof. Dr. Sarah Schott: Letztlich steht die Heilung im Vordergrund. Bei der Therapie ist grundsätzlich zu bedenken, dass viele Chemotherapeutika und auch die Bestrahlung bei Menschen mit LFS Krebs auslösen können. Wenn ohne diese Strategien keine Krebsbehandlung möglich ist, sollte man trotz des Risikos für weitere Tumoren nicht auf die Behandlung verzichten. Nur wenn es gleichwertige Alternativen gibt, die weniger krebsauslösende Elemente enthalten, sind diese vorzuziehen.

Bei Frauen mit Brustkrebs und LFS sollte eine Strahlentherapie, wie es bei der brusterhaltenden Therapie üblich ist, möglichst vermieden werden. Als Alternative kann die Mastektomie mit
den Frauen diskutiert werden. Auch der Einsatz von Chemotherapeutika muss immer in Anbetracht der bereits eingetretenen Krebserkrankung hinsichtlich des Risikos und des Nutzens im Detail abgewogen werden. Es stellt sich die Frage, ob man durch den Verzicht einer Standardtherapie eventuell Schaden aufgrund des LFS abwenden kann oder ob diese Therapie möglicherweise doch im Kampf gegen die aktuelle Krebserkrankung unabdingbar ist. Wir hoffen zukünftig auf Therapiestudien für krebskranke Menschen mit LFS, um diese Dinge noch besser zu erforschen.

Mamma Mia!: Was raten Sie Frauen mit einem Li-Fraumeni-Syndrom?

Prof. Dr. Sarah Schott: Die internationalen Empfehlungen sehen ein engmaschiges Früherkennungs- und Nachsorgeprogramm an spezialisierten Zentren vor. Dies empfehlen wir den LFS-Familien, also auch Kindern- und Jugendlichen, Männern und Frauen. Gerade bei seltenen Krebsprädispositionssyndromen ist das Bündeln von Erkenntnissen zur Optimierung der Versorgungs- und Therapiestrategien relevant.
Daher bieten wir den Familien an, sich an Forschungsprojekten zu beteiligen. Hierzu gibt es aktuell ein deutschlandweites Verbundprojekt mit dem Namen ADDRess, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. Ziel ist es, umfassendere Kenntnisse über diese sogenannten „Disorders with Abnormal DNA Damage Response“ (DADDR) zu erlangen und Patienten mit diesen Erkrankungen besserzu versorgen. Neun Arbeitsgruppen haben sich zusammengeschlossen, um die medizinische und psychosoziale Versorgung, die Krebsfrüherkennung, die Diagnostik und die Therapie für Menschen mit einer gestörten DNA-Reparatur zu verbessern. Das Forschungsprojekt ADDRess ist angelehnt an das Krebsprädispositionssyndrom-Register.

Mamma Mia!: Gibt es bestimmte Betreuungsangebote für Familien, in denen diese Mutation vorkommt?

Prof. Dr. Sarah Schott: Es ist wichtig, die Belange und Bedürfnisse der ganzen Familie im Blick zu haben. Brustkrebs ist hier nur eine von vielen möglichen Krebserkrankungen. Es muss, auch wenn beispielsweise über die Krebserkrankung der Mutter eine pathogene Keimbahnvariante im TP53-Gen erstmalig festgestellt wird, besprochen werden, dass ebenso die Kinder bereits im  jungen Alter einem erhöhten Krebsrisiko ausgesetzt sind. Eine genetische Testung wird daher auch bei Kindern empfohlen.
Wir arbeiten eng mit anderen Fachdisziplinen zusammen. Vor allem die Kinderonkologen betreuen betroffene Kinder und Jugendliche engmaschig. So haben Kollegen der Medizinischen Hochschule Hannover und des Hopp-Kindertumorzentrums Heidelberg vor Jahren das bereits erwähnte Krebsprädispositionssyndrom-Register ins Leben gerufen und eine Webseite
für betroffene Familien und Ärzte zusammengestellt, die alle aktuellen Informationen zu KPS bündelt.
Zudem gibt es eine international aktive Selbsthilfegruppe für LFS-Betroffene, die auch in Deutschland einen Ableger hat. Hierzulande setzt sich diese Selbsthilfegruppe ganz gezielt für die spezifischen Belange LFS-Betroffener ein, zum Beispiel Fragen zu Vorsorgeproblemen, Beratung zu Krankenkassen und Kostenübernahmen. Die Li-Fraumeni Syndrome Association Deutschland e.V. Deutschland organisiert Familientreffen, die einerseits dem Erfahrungsaustausch der Betroffenen dienen aber auch die Möglichkeit bieten, mit Experten auf diesem Gebiet in Kontakt zu treten. Für Jugendliche wird jährlich ein Treffen in den USA organisiert, an dem über den Verein auch Jugendliche aus Deutschland teilnehmen können.


Kontakt
Prof. Dr. Sarah Schott
Sektionsleiterin (Sektion Translationale Gynäkologische Onkologie), Ärztliche Leitung (Sprechstunde für familiären Brust- und Eierstockskrebs), Wissenschaftliche Mitarbeiterin (Sektion Senologie), Oberärztin (Zentrum für gynäkologische Krebserkrankungen), Ärztliche Leitung (BRCA-Sprechstunde)
Universitätsklinikum Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 440
69120 Heidelberg
Gebäude 6440
E-Mail: Sarah.Schott@med.uni-heidelberg.de